Bund der Antifaschisten Köpenick

Jens-Peter Dierichs

Das denkwürdige Frühjahr 1945! Als 16 Jähriger erlebe ich auf der Schwäbischen Alb den Einmarsch amerikanischer und französischer Truppen. Hierher hat mein Vater in den letzten Kriegsjahren die Mutter und mich vor den Bombadierungen des Ruhrgebiets in Sicherheit gebracht – Kriegsflüchtlinge im eigenen Land. Der Tatkraft meiner Mutter verdanke ich, dass mit die Einberufung zu Hitlers letztem Aufgebot mit dem für viele meiner Altersgenossen tödlichen Ende erspart bleibt. Im Mai erreicht unser entlegenes Dorf die Nachricht vom Tod des Führers und der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht in der Reichshauptstadt. Endlich haben wir die ersehnte Gewissheit, dass dieser mörderische Krieg zu Ende ist, endlich bin ich von der Angst vor einem sinnlosen Tod im ‚Luftschutzkeller‘ oder auf dem ‚Feld der Ehre‘ erlöst. Das ist mein Tag der Befreiung!

In den Nachkriegsjahren wird mir erst das ganze Ausmaß der von der Naziführung befohlenen Verbrechen an den Völkern Europas, aber auch am eigenen Volk, bewusst. Ja, die Streitkräfte der Alliierten haben – gemeinsam mit den Widerstandkämpfern vieler europäischer Länder – unseren Kontinent, haben unser Land, haben meine Familie, haben mich von einem Regime faschistischer Kriegsverbrecher befreit! – Das nun glücklich überstandene grauenvolle Erlebnis des von Deutschland entfesselten Bombenkriegs gegen die Zivilbevölkerung, der schreckliche Anblick riesiger Trümmerlandschaften meiner Heimatstädte, die entsetzlichen Bilder von Leichen-Bergen in den Konzentrationslagern der Nazis, das alles macht aus mir fürs ganze Leben einen leidenschaftlichen Gegner des Krieges, der massenweisen Vernichtung von Menschenleben, der barbarischen Zerstörung von Menschlichkeit!

In den folgenden sechs Jahrzehnten muss ich erleben, dass mit dem Sieg der Völker über Nazideutschland noch lange nciht die Welt und inzwischen auch dieses Land von skrupelloser Kriegsrüstung und mörderischer Kriegsführung befreit sind! – Ende der 50er Jahre – nach meiner Ausbildung zum Schauspielregisseur in dem Land, das am meisten Leid und Last des von meiner Heimat ausgegangenen Zweiten Weltkriegs ertragen musste – inszeniere ich als erstes Brechts „Furcht und Elend des Dritten Reiches“ am Deutschen Nationaltheater in Weimar. Anlass ist die Einweihung des Mahnmals von Buchenwald an den Hängen des nahegelegenen Ettersbergs. Das Architekturensemble dieser internationalen Grab- und Gedenkstätte mit Cremers aufrüttelnder Skulpturengruppe von KZ-Häftlingen vor dem weit ins Land ragenden Glockenturm beeindruckt mich zutiefst. Mit meiner Inszenierung solidarisiere ich mich mit den Überlebenden des Konzentrationslagers Buchenwald, die nach ihrer Befreiung gemeinsam den Willen bekundet hatten, nie wieder Krieg und Faschismus zuzulassen.

Diese Willensbekundung ist heute, 60 Jahre nach der Befreiung vom Hitlerfaschismus, für mich genauso gültig, wie im Frühjahr 1945:

„Die endgültige Zerschmetterung des Nazismus ist unsere Losung. Der Aufbau einer Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ideal.“