Bund der Antifaschisten Köpenick

Gedenken und Mahnung, gegen das Vergessen.

An der Wende zum neuen Jahrtausend, 60 Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkrieges, 55 Jahre nach der Befreiung unseres Volkes vom Faschismus durch die Anti-Hitler-Koalition der UdSSR, der USA, Frankreichs und Großbritanniens, will der Bund der Antifaschisten Köpenicks an den antifaschistischen Widerstand, an die zahlreichen Opfer der faschistischen Barbarei erinnern. Gedacht sei an alle jene „Menschen, die ihren Namen, ihr Gesicht, ihre Sehnsucht und ihre Hoffnungen hatten“ – Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter, Christen, Juden, Parteilose, bürgerliche Demokraten und Humanisten.

Wir wollen die Namen all der Menschen aus Köpenick nennen und so dem Vergessensein entreißen, die den Widerstand gegen das Naziregime nicht aufgaben, die gegen das Unrecht, gegen Unterdrückung, gegen Brutalität, gegen Misshandlung und Mord, gegen Krieg und Aggression kämpften. Wir wollen die Namen jener im Gedächtnis bewahren, die Opfer der Nazibarbarei wurden, die ihren gelebten Humanismus, ihr Menschsein bewahrten.

Es hatte in den Jahren vor 1933 nicht an warnenden Stimmen über die heraufziehende faschistische Gefahr gefehlt. Führende Arbeiterfunktionäre, demokratische und humanistische Vertreter der Intelligenz sagten voraus: Faschismus – das bedeutet blutige Diktatur und letztlich völkermordender Krieg.

Die Nazis, speziell Hitler in seiner Programmschrift „Mein Kampf“, hatten ihre Pläne einer „nationalen Erneuerung“ und ihr Ziel, Deutschlands „Größe wieder herzustellen“ zu keiner Zeit verborgen. Doch die Mehrheit der Deutschen durchschaute die nationale und soziale Demagogie der Hitler-Partei nicht. Die seit Beginn der dreißiger Jahre andauernde Wirtschaftskrise, Massenarbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit bei Millionen und Abermillionen, sowie die um sich greifende Parteiverdrossenheit taten ein übriges.

Den Chefs der Industriekonzerne und Großbanken, den Großgrundbesitzern und reaktionären Politikern waren die von der Arbeiterschaft im Ergebnis der Novemberrevolution von 1918 erkämpften demokratischen Rechte und Freiheiten von Beginn an ein Dorn im Auge gewesen und ein Hindernis bei der ungestörten Durchsetzung ihrer Macht- und Gewinninteressen. Deshalb förderten sie die Hitler-Partei und ermöglichten im Januar 1933 die Bildung der Regierung Hitler-Hugenberg.

In dieser Situation fehlte es an der Gemeinsamkeit und Einheit der Arbeiterorganisationen und aller demokratischen Kräfte. Folglich fehlte es an der erforderlichen Kampfkraft, um dem Faschismus Paroli bieten zu können.

Die faschistische Herrschaft, die Nazidemagogie, erwies sich sehr schnell als nackter Terror und totale Gewaltherrschaft. Doch trotz Verfolgungen und Inhaftierungen, trotz Entrechtung, Folter und Mord, trotz Gefängnissen, Zuchthäusern und Konzentrationslagern leisteten nicht wenig Arbeiter, aber auch liberale und pazifistische Intellektuelle antifaschistischen Widerstand in den vielfältigsten Formen.

Auch in Köpenick. In immer tieferer Illegalität organisiert, äußerten sich Ablehnung und Abscheu gegenüber den faschistischen Herrschaftsmethoden. Humanistische Positionen, kirchliche Seelsorge, Solidarität mit in- und ausländischen Opfern der Nazibarbarei konnten nie völlig unterdrückt werden, erwachten und erwuchsen immer wieder aufs Neue. Trotz der Gefahr, Freiheit und Gesundheit, Familie, Kampfgefährten und Nachbarn, ja auch das Leben zu verlieren.

Die Auseinandersetzung mit dem faschistischen Regime kannte unterschiedliche Perioden: aktiven Kampf, Rückzug, Stillhalten, erneutes Aufbäumen. Die Nazis setzten alles daran, die antifaschistischen Zellen und Widerstandsgruppen zu zerschlagen. Doch immer wieder stießen sie auf neue organisatorische Zusammenschlüsse von Antifaschisten, auf neue illegale Schriften und Aktionen.

Wenn der von den Nazis ermordete tschechische Patriot Julius Fucik „an die Heutigen“ gewandt, appellierte „Vergesst nicht!“, so wollen wir auch jener zahlreichen Naziopfer gedenken, die über unterschiedliche Zeiträume ihrer Freiheit beraubt wurden, die gefoltert und erschlagen, die gejagt und verjagt wurden, weil sie den Köpenicker Nazigrößen missliebig oder weil sie Juden oder Zigeuner waren. So mancher, der diese Zeit überlebte, wurde derart drangsaliert und geschunden, dass er noch Jahre danach physisch und psychisch darunter litt.

Es geht uns also nicht nur um das ehrende Gedenken an die Opfer der Köpenicker SA-Exzesse vor nunmehr bald sieben Jahrzehnten. Die Toten und Geschundenen vom Beginn des Jahres 1933, der Köpenicker Blutwoche, Juni 1933, stehen am Beginn einer langen Liste. Bis jetzt verzeichnet dieses Gedenkbuch rund 1000 Namen, die das andere Deutschland, das demokratische Köpenick verkörperten.

Allerdings – einschränkend und zum Nachdenken eingefügt – 1933 lebten in Köpenick 88517 Einwohner. Das bedeutet, dass allzu viele Köpenicker weggeschaut oder geduldet haben. Es waren auch nicht wenige, die mitgemacht, die gestohlen und sich bereichert haben. Nicht zuletzt deshalb kann ja, sollte die Erinnerung an die Opfer, die alles gegen das Hitler-Regime wagten und sehr oft auch verloren, von hohem Wert sein – für heutige und für künftige Generationen.

Das Gedenkbuch sollte von den Nachgeborenen als ehrenhaftes Zeugnis dafür angenommen werden, dass es auch in der schwärzesten Nacht über Deutschland in Köpenick Frauen und Männer gab, die Menschenwürde verkörperten, indem sie sich dem Naziterror nicht beugten!

Das Buch könnte Anstoß und Anregung für einen Dialog zwischen Alt und Jung sein über geschichtliche Vorgänge und Ursachen, die zu Faschismus und Krieg sowie zu den Folgen des Krieges führten.

Das Gedenkbuch würde seinen Sinn erfüllen, wenn das Gedenken an menschliche Verhaltensweisen angesichts der Gefährdung und Infragestellung von Demokratie und Freiheit und des Erfordernisses von Widerstand dagegen von künftigen Generationen als Diskussionsbeitrag angenommen würde. Darüber, wie eine Gesellschaft ausgestattet sein könnte, in der Nationalismus und Rassismus, Militarismus und Krieg Fremdworte sind. Darüber, wie eine Gesellschaft aussehen könnte, in der soziale Gerechtigkeit und echte Chancengleichheit gewährleistet sind und die frei ist von der Geißel der Massenarbeitslosigkeit.

Das Gedenkbuch soll schließlich dem Vergessen und der Vergesslichkeit entgegen wirken. Es soll dazu beitragen, dass Rechtsextremisten und Neonazis nie mehr in unserem Land bestimmenden Einfluss auf den Gang gesellschaftlicher Entwicklungen nehmen können.

Unser Gedenkbuch mit etwa 1000 Namen von Opfern des Faschismus will im Sinne von Julius Fucik dazu beitragen, „dass sie alle uns immer nahe bleiben.“ Dabei handelt es sich um Männer, Frauen, ja auch um Kinder – das jüngste Opfer lebte nur fünf Monate – die Ältesten der Opfer waren 85 Jahre alt. Eingeschlossen sind aber auch Personen, die ihren antifaschistischen Kampf in der Emigration fortsetzten bzw. in anderen Regionen Deutschlands und der Welt lebten, antifaschistische Arbeit leisteten und durch ihren späteren Wohnsitz in Köpenick die Arbeit und das Leben in unserem „Kietz“ mit prägten.