Wieder eine Email von Hanna im Postfach.
Kann jemand zur Vorstandssitzung gehen? Wer kann bei unserem Infostand beim
Fest für Demokratie dabei sein? Hanna Wichmann und die Vereinigung der
Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten
Köpenick e.V. (VVN-BdA) – das gehört seit Jahrzehnten unweigerlich zusammen und
ist fast als Synonym zu verstehen.
Anfang 1990 wurde der Bund der Antifaschisten Köpenick
mit fast 200 Mitgliedern gegründet Hanna war eine von ihnen. Zwei Jahre später
wurde der BdA Köpenick als gemeinnütziger Verein eingetragen. Im Jahr 2006
kamen die Mitglieder des Interessenverbandes ehemaliger Teilnehmer am
antifaschistischen Widerstand, Verfolgter des Naziregimes und Hinterbliebener
(IVVdN) dazu. Ob es den
Verein im südöstlichen Stadtteil Köpenick ohne Hannas Engagement heute so noch
geben würde, kann getrost bezweifelt werden. Als langjährige Geschäftsführerin
hat sie die Geschicke der Interessenvertretung der Verfolgten und ihrer
Hinterbliebenen geleitet. Keinen Geburtstag der Vereinsmitglieder hat sie in
all den Jahren vergessen, und immer rechtzeitig die Geburtstagskarten
verschickt. Der Austausch mit den Älteren war ihr stets wichtig. Viele waren im
antifaschistischen Widerstand aktiv gewesen, hatten Zuchthäuser und
Konzentrationslager überlebt, waren Verfolgung und Krieg entronnen. Jahrelang
organisierte Hanna die Verlegung von Stolpersteinen im Stadtteil. Die pensionierte
Lehrerin half Schüler*innen bei ihren Recherchen zu den Ermordeten. Hanna
erklärte einmal: „Wir wollen bei jedem Stolperstein-Projekt junge Menschen
beteiligen, damit in keiner Generation das Gedenken an die Naziopfer erlischt.“
Jedes Jahr finden Stadtrundgänge in der Köpenicker Altstadt zu den
Novemberpogromen 1938 statt. Am 23. April gedenkt die VVN-BdA der Befreiung
Köpenicks durch Soldaten der Roten Armee.
Krieg und Nachkriegszeit hatte Hanna als
junges Mädchen selbst miterlebt, als sie am Berliner Stadtrand aufwuchs. Am 19.
Juni 1933 geboren, wuchs sie mit den Fliegeralarmen im Luftkrieg um die
Reichshauptstadt auf. Den Rotarmist*innen war sie dankbar für ihren Beitrag,
der Nazideutschland in die Knie zwang. Sie wurde in der FDJ aktiv und ließ sich
zur Lehrkraft ausbilden. Gemeinsam mit ihren Schüler*innen beschäftigte sie
sich im Unterricht oft mit Krieg und Verfolgung.
Untrennbar verbunden ist das Engagement von Hanna und
„ihrer“ VVN-BdA mit der Gedenkstätte Köpenicker Blutwoche, die sich im alten
Amtsgerichtsgefängnis Köpenick befindet. Akribisch hat Hanna Informationen über
die Opfer der nationalsozialistischen Verhaftungswelle gesammelt, die sich im
Juni 1933 in Köpenick zu trug und mindestens 23 Todesopfer forderte. Besonders
am Herzen lag ihr, das Schicksal von Frauen wie Maria Jankowski und Liddy
Kilian in Erinnerung zu behalten und ihr Andenken zu bewahren. Für die
Dauerausstellung stand Hanna mit ihrem Wissen und ihren Erfahrungen beratend
zur Seite, und so fanden Bilder und Dokumente aus der Sammlung des Vereins
Eingang in die Ausstellung. Noch
im Juni war sie dabei, als sich Menschen zum jährlichen Gedenken an die
„Köpenicker Blutwoche“ an der „Faust“, dem Mahnmal für die Ermordeten, trafen.
Ohne den Einsatz von Hanna, ihr Wissen und Engagement gegen das Vergessen, wäre
vor allem der jungen Generation, viele Informationen der
nationalsozialistischen Verbrechen in Köpenick nicht zugänglich gewesen.
Doch es ging Hanna nicht um einen
zahnlosen Antifaschismus. Das Gedenken an die Opfer des nationalsozialistischen
Terrors hieß für sie auch, sich gegen Neonazismus und rassistisches Gedankengut
zu engagieren. Als die NPD, die heute zugunsten der AfD in der
Bedeutungslosigkeit verschwunden ist, im Jahr 2000 ihre neue Bundeszentrale in
Köpenick bezog, erklärte sie kämpferisch: „Wir werden uns nicht alles gefallen lassen.“ Seitdem war sie bei Protesten
gegen die Partei immer wieder dabei und sammelte unermüdlich Unterschriften für
ein NPD-Verbotsverfahren. Ihre offene, ja geradezu offensive Art brachte sie
mit ein paar jungen Antifaschist*innen aus dem Bezirk zusammen. Ohne
Berührungsängste ging Hanna auf die Antifas zu, bot ihre Hilfe an, dabei war sie
stets offen für deren Diskurse und Aktionen. Immer hat sie die Nähe zu jungen Antifaschisten*innen
gesucht, es geschafft eine Verbindung zwischen alten und jungen Mitgliedern aufzubauen,
die bis heute besteht. So war die VVN-BdA Köpenick beim alternativen
Kontrollverluste-Festival dabei und unterstützte Demonstrationen des Antifaschistischen
Bündnisses Südost.
Hanna vertrat den Verein aber auch beim bezirklichen
Bündnis für Demokratie und Toleranz und bei bundesweiten Treffen. Am Herzen lag
ihr auch die antifaschistische Erholungs- und Begegnungsstätte Heideruh, für
dessen Erhalt sie sich immer wieder einsetzte.
2011 erhielt Hanna
von der Bezirksverordnetenversammlung Treptow-Köpenick für ihr Engagement den
Preis für Zivilcourage. Als zur alljährlichen „Köpenickiade“ in Erinnerung an
den „Hauptmann von Köpenick“ Friedrich
Wilhelm Voigt, der 1906 die
Stadtkasse entwendete, vor ein paar Jahren plötzlich das Wachbataillon der
Bundeswehr zu Werbezwecken vor dem Rathaus aufmarschierte, war auch Hanna unter
den Gegendemonstrant*innen. In den letzten Jahren konnte Hanna nicht mehr so
wie sie wollte. Sie hatte viel zu tun. Sie hatte ihre Kinder, Enkel und ihren
Uli. Und sie hatte die VVN-BdA. Kaum ein Tag, an dem nicht eine Email an die
kommende Vorstandssitzung oder einen Jahrestag zum Gedenken erinnerte.
Es kommen keine Emails mehr von Hanna. Am 25. August 2019 ist Hanna Wichmann im Alter von 86
Jahren in Berlin verstorben. Ihr Wesen und ihr Engagement bleibt unvergessen. Die
Erinnerungen werden wir in ihrem Sinne weitertragen. Hanna wir werden dich
vermissen!
Der Vorstand