Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten Köpenick

Die Familie Kilian

Liddy Kilian wurde 1895 als fünftes Kind eines Schuhmachers in Dresden geboren. Sie wurde Fürsorgerin.

1923 zog sie nach Köpenick und heiratete in zweiter Ehe den Buchhändler Götz Kilian, geboren am 07.10.1891 in Kassel. Dass dieser Geburtstag 58 Jahre später ein historisches, von ihm ersehntes Datum werden sollte, konnte er nicht mehr erleben.

Zwei Söhne brachte Liddy mit, die gemeinsame Tochter Isoth wurde 1924 geboren.

Liddy und Götz gehörten der KPD an.

Der Bezug des damals neu erbauten Hauses Heidekrugstraße 67 im idyllischen, Ruhe und Frieden ausstrahlenden Elsengrund war für die Familie ein großes Glück, denn sie hatten bis dahin sehr beengt mehr „gehaust“ als gewohnt. Gleichwohl bedeutete das neue Anwesen eisernes Sparen.

Liddy berichtet:

„Ein eigenartiger Umzug vollzog sich in dieser Zeit. Die Straßen waren noch nicht fertig. Pferde oder Motoren mussten von den Wagen abgekoppelt werden. Gemeinsam schoben die Neueinziehenden die Wagen vor die Tür ihres Hauses. Wir warteten fast vier Stunden auf unseren Pferdewagen. Er kam nicht. Kurz vor Karlshorst war das Pferd entkräftet liegen geblieben, ein anderes musste herangeschafft werden. Da wir nicht viel Einrichtungsgegenstände besaßen, reichte ein Wagen mit Pferd. Möbel gab es 1923 nicht. ... Das Geld hatte meist am anderen Tag keinen Wert. Mein Nachbar B. wollte sich Linoleum kaufen; ich brauchte einen Kleider- und Wäscheschrank. Wir beschlossen, wenn ich am Abend mein Gehalt bekomme, einen Blitztausch vorzunehmen. Er bekam das Geld, mit dem er sofort losrannte, und ich den Schrank, den er als Tischler angefertigt hatte. Für das Schlafzimmer wurden in ähnlicher Geschwindigkeit Militärbetten aus dem Bettenhaus Schulte am Markt in Köpenick gekauft. Esswaren beschaffte man sich in der Markthalle am Alex, sobald man das Geld in der Hand hatte. Oft war beim Bäcker kein Brot mehr. Als Nachbarn halfen wir uns gegenseitig. An einem anderen Tag konnte man alles wieder gutmachen. In unserer Straße war unter den Bewohnern eine gute Solidarität.

Der Garten war reiner märkischer Sand. Man hatte eine Erhöhung abgegraben. Aller Mutterboden des Waldes war deshalb verschwunden.Die Genossen Heiner Rau, Rößler und Flemming kamen oft Sonnabend oder Sonntag, sie rielten Rasenplatten unter den Sand, damit ein fester Grund geschaffen wurde. Sie bauten auch ein Hühnergitter an den Schuppen.“

Noch heute kann man auf diesem „festen grund“ im Garten spazieren gehen, dicht am Wald. Das Haus ist erweitert, weil die Ansprüche der übernächsten Generation höher sind als bei den „kleinen Leuten“ der zwanziger Jahre.

Aber was hat sich nicht alles in dieser Idylle, in dieser solidarischen Lebensgemeinschaft in fast achtzig Jahren und vier Staatssystemen getan?

Als Kommunisten machten sich die Kilians das Ziel dieser Partei – eine gerechtere Welt – ganz persönlich zur Lebensmaxime, faktisch bewusst zur eigenen Aufgabe. Sie teilten ihre Liebe und Verantwortung für die Familie, für die Kinder und für das „große Ziel“ mit seinen tätglichen „Mühen der Ebenen“.

So hatte Liddy in der Parteizentrale viel zu lernen und fand nicht immer Verständnis, wenn Mutterpflichten gegenüber Parteiaufträgen Vorrang haben mussten. Trotzdem fand sie Möglichkeiten, ihr Wissen, ihre Erfahrungen zu erweitern, sodass Clara Zetkin eines Tages sagte: „Du musst schwimmen lernen, denn du hast Schnauze und Verstand. Heute sprichst du.“

Sie hat es gut gelernt und oft unter kompliziertesten Bedingungen, vor kleinem und großem Zuhörerkreis, vor Freunden und vor wütenden Nazi-Feinden, als Abgeordnete und ganz einfach als Frau, als Mensch mit Verantwortung und wachem Geist gesprochen. Sie hat es so gelernt, dass man sie verstand – das hat nicht jeder politisch engagierte Mensch erreicht.

Nachher werden wir ihre einfühlsame und zugleich fordernde Stimme hören, das „Nie wieder“ anmahnend vor dem Prozess gegen die SA-Verbrecher der Köpenicker Blutwoche vor gut 50 Jahren.

Schon in den zwanziger Jahren lernte sie Parteiverbot und illegale Arbeit kennen. Als die Tochter vier Wochen alt war, wurde Liddy im Prozess gegen H. Rau u.a. verhaftet wegen illegaler Fortführung der Parteiarbeit. Das Baby durfte nicht mit ins Gefängnis. Liddy berichtet:

„Meine drei Kinder wurden in unserer Straße aufgenommen. Man sagte bei meiner Rückkehr: ‚Jeder hat es einmal gestillt.‘ Es wollte keine Muttermilch mehr trinken, die Flasche hat ihm besser geschmeckt. Mühevoll hatte ich die Milch abgesaugt mit einem Glasnapf, um den nährenden Strom für das Kind zu erhalten. Aber Klein-Isoth lehnte die die alte Nahrung ab.

Nach allen Vernehmungen wurde ich entlassen, weil keine Verdunkelungs- und Fluchtgefahr vorlagen. ...

Auch bei einer späteren Anklage wegen Herausgabe unerlaubter Sammellisten für das Ferienlager der Pioniere (Woroshilow-Lager) verurteilte man mich zu einem halben Jahr Haft, verwandelte diese in eine Geldstrafe, an der wir viele Jahre abzahlten.“

Liddy Kilian hat mit Georgi Dimitroff zusammengearbeitet und ist später in die Sowjetunion gereist.

Leicht war es für die junge Familie trotz des neuen Hauses nicht. Götz arbeitete in Weißenfels und Halle. Er richtete die Arbeiterbuchhandlung ein. Mit Genossen Edwin Hoernle und anderen gründete er den „Verlag neues Dorf“, der auch periodisch eine Zeitung herausgab. 1925 – zum 400. Jahrestag des Bauernkrieges – hatte Heinrich Rau eine Broschüre zu Ehren Thomas Münzers „Im Kampf um die Freiheit“ verfasst, die Götz in diesem Verlag herausbrachte. Er wurde dafür wegen Hochverrat verhaftet und angeklagt. Da es sich um einen historischen Inhalt mit nur einigen Bezügen auf die Gegenwart handelte, musste nur die Losung „Prolatarier aller Länder, vereinigt euch!“ überdruckt werden. Die Anklage wurde fallen gelassen, aber Haftentschädigung erhielt Götz nicht. Später leitete er den Verlag für russische Agrarwissenschaften.

Die Kilians wurden in den zwanziger Jahren auch für die KPD in die Köpenicker Bezirksverordnetenversammlung gewählt. Während Liddy in der Wohlfahrtsdeputation tätig war, sagen die Protokolle über Götz aus: Mitglied im Schulausschuss für höhere Lehranstalten, in der Deputation für Kunst und Bildung und im Ausschuss für die Wahl von Ehrenbeamten. Zeitweise war er als unbesoldeter Stadtrat auf kulturellem Gebiet tätig. Er konnte viele interessante Veranstaltungen, z.B. mit Ludwig Renn, Erich Kästner, Ringelnatz, Erich Weinert in der Aula der Weltlichen Schule in der Freiheit (heute Schulamt) organisieren. Auch eine Begrüßungsveranstaltung, als Max Höltz aus dem Gefängnis kam. Das Stadttheater mit dem größten Saal war voll begeisterter Teilnehmer, die Max Höltz anschließend zum Bahnhof begleiteten. Hier schlug die Polizei mit Gummiknüppeln auf den Gast los. Die Arbeiter kreisten ihn ein und empfingen – wie auch Kilians – Schlagwunden. Kilians nahmen Höltz zur Sicherheit mit nach Hause und geleiteten ihn am nächsten Morgen zum Bahnhof.

Liddy erinnert sich an das Verbot der Mai-Demonstration 1929. In Köpenick – wie anderswo in Berlin – wollten sich die Arbeiter ihr Recht nicht nehmen lassen. Sie trafen sich am 1. Mai am Bahnhof, am Markt am Stadttheater (heute Futranplatz) und wollten sich dann vereinigen zur Kundgebung am Futranplatz. Liddy Kilian berichtet:

„Jeder Demonstrationszug war sehr zahlreich. Die Polizei schlug hart, sie wollte recht viele Demonstranten verhaften. Ein großer Teil kletterte am Weinbergsweg über den Bretterzaun in die Meierei, auch in den Häusern verschwanden die Menschen hinter der Ecke Borgmannstraße und Parrisiusstraße.Wenn die Polizei an eine andere Stelle fuhr, vereinigten sich immer wieder die Demonstranten, aber ein Zusammentreffen beider Züge kam nicht zustande, weil es denen hinter der ersten und zweiten Brücke genauso wie uns ging.Die ganze Bevölkerung Köpenicks war empört über die Niederknüppelung der Demonstration am Kampftag der Arbeiter, dem 1. Mai.“

Die zunehmende Arbeitslosigkeit anfang der dreißiger Jahre war Anlass zu Protestkundgebungen. Vertreter der KPD-Bezirksverordnetenfraktion überbrachten dann die Forderungen dem Bürgermeister Ehrlich (SPD) oder dem Stellvertreter Herbst (SPD). Vom „Flitzer“ (sicher wurde damals das Polizei-Auto so bezeichnet) wurden sie oft als „Rädelsführer“ verhaftet. Unterstützung bekamen sie aber vom jur. Bürgermeister, Dr. Volksmuth, aus dem bürgerlichen Lager. Liddy erinnert sich:

„Er sagte: ‚Sie sind doch im Vorstand der Siedlung Elsengrund? Kommen sie jederzeit zu mir, wir verhandeln über die Anträge des Siedlervereins.‘ Wenn nun das Überfallkommando mich im Rathaus fassen wollte, verschwand ich im Zimmer des jur. Vertreters und verhandelte, falls er anwesend war, über besagte Anträge. Sein Mitarbeiter sagte: ‚Warten sie, bis unser Doktor kommt.‘ Kam er nicht, konnte ich nach Abfahrt des Flitzers wieder gehen. Die mich abholen lassen wollten, sagten: ‚Verdammt, wo haben Sie nur gesteckt?‘

‚Ja, wo stecken die Kilians und Gramschs, wenn man sie einbuchten will?‘ fragte ich lachend zurück.“

Nicht nur Kundgebungen und Demonstrationen organisierten die Genossen gegen die Erwerbslosigkeit. Die Frauen waren tätig in der Erwerbslosenküche in der Schönerlinder Straße in der Köllnischen Vorstadt. Dafür sammelten sie bei der Bevölkerung und in Läden Lebensmittel. Die Köchinnen und die Hungrigen waren der Meinung: „Das Essen war keine Wohlfahrtssuppe, in die mehr Augen hinein- als heraussahen.“

Liddy leistete als Bezirksverordnete viel Sozialarbeit und war als helfende Frau bekannt. Sie ging daher auch in Nazi-Versammlungen, um sich auseinander zu setzen mit deren Politik. Frauen gegenüber wurden sie nicht handgreiflich, was sich aber ab 1933 änderte. Als sie bei einer Protestversammlung bei Spindler sprechen wollte, wurden die Türen des Versammlungsraumes geschlossen. Arbeiterinnen und Arbeiter hoben sie einfach durch’s Fenster, und sie sprach zu den Anwesenden.

Die Kilians gingen an der Spitze der Demonstration am 30.Januar 1933, in der gegen die Machtübernahme durch die Nazis protestiert wurde.

Auch zu den Wahlen unter Nazi-Herrschaft am 3. März 1933 kandidierten die Kilians: die kaufmännische Angestellte Liddy Kilian auf Platz 2 und der Verlagsbuchhändler Götz Kilian auf Platz 14 der KPD-Liste. Die KPD hatte 6 Mandate erhalten, die aber bekanntlich sofort von den Nazis vom Reichstag bis in die kleinste Kommune für ungültig erklärt wurden.

Götz hatte als Elternbeiratsvorsitzender Ansehen und sprach in SPD-Versammlungen, um für gemeinsame antifaschistische Aktionen zu werben.

Nach den Wahlen 1933 war die Stimmung auch in Köpenick für ein Zusammengehen von Sozialdemokraten und Kommunisten gegen die braune Gefahr. Reichsbanner und RFB hatten Waffen und waren bereit „Es war schlimm, als die Nachricht kam: ‚Der Zusammenschluss ist von der SPD abgelehnt‘.“, empfand Liddy damals die Situation.

Jean-Jacqes Rousseau meint: „Es ist entscheidend mehr wert, jederzeit die Achtung der Menschen zu haben, als gelegentlich ihre Bewunderung.“

Diese Achtung hatten die Kilians erworben. Trotzdem geschah das Unvorstellbare.

Götz wurde von den Nazis schon am zweiten Tag nach der Wahl abgeholt. Liddy war ein großer Posten angeboten worden mit der Drohung: „Wenn Sie nein sagen, werden sie am anderen Tag keinen Mann mehr haben.“ Es folgten 11 Haussuchungen. Fast jeden Abend war das Haus von SA umstellt, sodass die Kinder oft zu Nachbarn geschickt wurden. Sie erlebten aber auch, wie die SA-Leute Schränke umstülpten, alles durcheinanderwarfen und viele Bücher mitnahmen. Sicherheitshalber verbrannten die Genossen belastendes Material. Trotz der Gefahr stellten sie aber illegale Flugblätter her. Noch bevor es zur Haussuchung kam, wurde daraus eine Bank gestapelt, ein Tuch darüber gelegt und ein Tisch davor gestellt. Die Nazis merkten nichts und erkannten auch nicht den Abziehapparat im Holzkoffer mitten in der Küche.

Erst am 20. Juni, einen Tag vor der Köpenicker Blutwoche kam Götz frei. Er sollte sich laut Bescheinigung bei erneuter Verhaftung in Schutzhaft begeben.

Am 21.Juni holten ihn die SA-Leute und hatten für die Bescheinigung nur ein Hohnlachen. Ein anderer Genosse wollte ihn loseisen und wäre dafür fast selbst mit auf dem LKW gelandet. Noch einmal die Erinnerung von Liddy:

„Unsere Nachbarin, Frau Seidig, aus dem schräg gegenüber liegenden Haus stieg auf das Rad des Lastwagens, um meinen Mann herunterzuholen. Sie mussste der Gewalt weichen, sonst wäre sie als bürgerliche Frau mitgenommen worden, weil sie für einen Kommunisten eintrat.“

Tochter Isot hatte ihren Vater auf dem Weg von der Schule vor dem Hause von Stelling, der gerade abgeholt wurde, eingeklemmt zwischen anderen auf einem LKW erkannt.

Weiter berichtete sie über die Ereignisse bei „Seidler“ und danach:

„Dort angekommen, standen wir diesem Lokal gegenüber in der Uhlenhorster Straße.Wir sahen, wie ein Genosse oder Freund nach dem anderen abgeliefert und von SA-Leuten hereingeschleppt wurde. Vor dem Lokal standen einige SA-Leute. Einer rief meiner Mutter zu: ‘Auch, Frau Kilian, gut daß Sie selber kommen, dann brauchen wir Sie ja nicht zu holen.!‘ Ich brüllte wieder los. Und dieses Gebrüll war wohl der einzige Grund, daß sie nicht auch meine Mutter in das Lokal schleppten, wie so viele, die ich mochte und schätzte, die mir vertraut waren. Wir haben lange gewartet, bis der Zug der Geschlagenen aus dem Lokal geführt wurde, damals am 21. Juni 1933, und sie zum alten Gefängnis Köpenick (darin sitzen wir heute hier) mit letzter Kraft gehen mussten. Wir gingen in einigem Abstand dem Zug nach.

Langsam gingen die Männer und Frauen. Die SA flankierte sie. Sie gingen am Bahnhof vorbei, über den Mandrellaplatz zum großen Tor, das vor dem Gefängnis war und geöffnet wurde. Ich ging hinüber – meine Mutter blieb etwas abseits stehen, damit sie nicht mit hereingezerrt wurde. Alle gingen an mir vorbei, auch mein Vater. Ich war ganz stumm und starr vor lauter Schrecken. Dann sahen wir noch, wie einige gebracht wurden, getreten wurde ein alter Mann, der nicht schnell genug aussteigen konnte, sodaß er hinfiel. Es war alles ganz schlimm für mich mit meinen neun Jahren, und ich habe dieses alles nicht vergessen können.

Nach einigen Tagen kam mein Vater wieder nach Hause. Er lag lange. Man hatte ihm die Zuleitungen zu den Nieren durchschlagen! Eine Niere war gleich kaputt. Den Genossen Erich Janitzky, den ich gut kannte, hatte man erschlagen. Von Essen und Stelling verfolgt und zu Tode mißhandelt. Alles Leute, die meine kindliche Achtung hatten.

Wir blieben noch bis zum Frühjahr 1934 in Köpenick wohnen. Meine Brüder waren schon nach Hamburg zu Verwandten gefahren. Aber wir konnten nicht mehr leben in Köpenick. In der Schule in der Borgmannstraße wurde ich – umgeschult aus der Weltlichen Schule – geschlagen, schikaniert und beschimpft. Meine Eltern waren ihres Lebens nicht mehr sicher. Immer wieder mußte mein Vater sich melden, er bekam keine Arbeit. SA-Leute spuckten vor ihm aus, beschimpften meine Mutter. Wir begannen unsere Sachen zu packen. Eine Übersiedlung nach Hamburg wurde vorbereitet. Dort waren wir nicht so bekannt.“

1934 hatten die Kilians in Hamburg eine Bleibe unter Gleichgesinnten gefunden, bekamen aber keine Arbeit. Sie standen auf der Gestapo-Liste und mussten sich einmal monatlich im Rathaus melden. Da Liddy künstlerisch begabt war, ernährte sie die Familie durch Bemalen von Kacheln, Tellern u.a. damals begehrter Volkskunst.

Noch einmal aus dem Bericht der Tochter:

„Ehe dieser Umzug stattfand, halfen die Genossen Okoniewski und Albert Laschke die Bücher zu stapeln in einer Niesche zwischen Schornstein und Wand gegenüber der Kellertür in der Wohnküche und unter der Kellertreppe. Vor die Niesche kam ein falscher Rahmen, und der Raum unter der Kellertreppe wurde zugemauert und alles frisch gestrichen, sodaß keine Spuren übrig blieben. Als die Miter nach uns einzogen, konnten sie nichts bemerken. Die Bücher schienen sicher. Albert Laschke wurde verhört. Er sollte aussagen, was er von Götz und Li Kilian wußte. Er schwieg. Er schwieg auch, als man ihn schlug, bis 150 konnte er mitzählen. Dann haben ihn die Sinne verlassen.

Trotzdem hat meine Mutter 1938 mit einem Husarenstreich die Hälfte der Bücher erhalten können!!

1938 wurde mein Vater wieder verhaftet. Er wurde wieder verhört und mißhandelt. Irgendwer riet, einen Teil der Bücher zu übergeben. Hals über Kopf fuhr meine Mutter nach Berlin, sie bestellte einen Mietwagen und kam zu unseren Mietern, einem Architekten, der mit seiner Familie das Haus bewohnte. Sie bat die verblüfften Leute, ihren Schrank wegzurücken. Sie löste die falsche Wand und lud die Bücher ein, die zum Erschrecken der Mieter zum Vorschein kamen. Sie rief an und teilte mit, daß die bei Haussuchungen vergessenen Bücher auf ihre Veranlassung hin der Polizei gebracht werden. Daraufhin fuhr sie gleich wieder nach Hamburg zurück. Mein Vater war wieder freigelassen worden. Er kam mit erneuten Verletzungen nach Hause.

1940 im Juli starb er an den Folgen der Mißhandlungen an Urämie. Den langsamen, schmerzhaften Tod, den ich niemanden wünsche und den wir bewußt miterleben mußten.“

Liddy Kilian zog 1945 wieder in die Heidekrugstraße und nahm sofort Verbindung zu den alten Genossinnen und Genossen auf, fand neue Gefährten, widmete sich der Linderung der furchtbaren Nachkriegsnot und kämpfte gegen Betrug und Bereicherung. Vor allem ging es ihr um das Selbstbewußtsein, die spätere Gleichberechtigung/Gleichstellung der Frauen, die nach dem Kriege allein mit ihren Kindern, oft ohne Beruf dastanden und zugleich wichtigster „Aktivposten“ beim Aufbau einer neuen Gesellschaft waren.

Ab Juli 1945 war sie im Bezirksamt Leiterin der Frauenausschüsse mit Sitz in der Hegelschule, heute Fröbelschule. Eine Frauenkonferenz im November 1945 wählte Liddy Kilian einstimmig zur Bürgermeisterin, was aber von der männerdominierten ANTIFA ignoriert wurde.

Später war sie Kulturoffizier im Jugendgefängnis Puchanstraße, der ehemaligen Folterstätte ihres Ehemannes. Sie unterrichtete an der Volkshochschule und engagierte sich im Kulturbundklub „Zu den sieben Raben“.

Liddy lernte 1948 einen neuen Partner kennen, den Schuldirektor und Genossen Johannes Adamiak, den sie 1956 heiratete. Warum so spät? Das ist eine Tragödie, die mancher aufrechte Genosse durchlebte, bestimmt schwer verstand und trotzdem zum Schweigen verpflichtet war. Wir sind es heute nicht mehr. Hans wurde unter Sabotage-Verdacht für vier Jahre in Bautzen inhaftiert. Wieder hatte Liddy Repression und Gewalt gegenüber dem geliebten Menschen auszuhalten. Dass diese nun aus den eigenen Kreisen kam – wie mag ein Mensch, der soviel Widerstand und Leid im NS-Regime erlebt hatte, damit fertig geworden sein?

Liddy war eine Kämpferin, sie nahm nichts einfach hin. So kämpfte sie mit aller Kraft für die Freilassung und Rehabiltierung ihres Partners – mit Erfolg. Die Gesundheit konnte keiner mehr wieder herstellen, und so blieben nach der Eheschließung nur noch acht 14 gemeinsame Jahre.

Von 1964 bis ans Lebensende 1972 wohnte sie mit der Enkeltochter wieder in der Heidekrugstraße 67. Sie nahm auch im hohen Alter am gesellschaftlichen Leben teil und vermittelte ihre Erfahrungen über Kampf und Leid durch Krieg und Faschismus. Eine Schule, eine DFD-Gruppe und Brigaden trugen ihren Namen.

Leider trat dahinter offenbar die Erinnerung an den zu Tode gequälten Götz Kilian etwas zurück. Wir ehren ihn als Opfer der Köpenicker Blutwoche. Sein Name und Bild sind an einer Stele in der Gedenkstätte.